VHK und ihre Verbindung zu Gábor Bódy – Ein Interview mit Attila Grandpierre
Erzähle von eurer Beziehung zu Gábor Bódy!

Attila Grandpierre: Wir lernten uns bei einem Konzert der Band Beatrice kennen. Unsere Gruppe von Freunden tanzte ganz extatisch, das weckte wohl sein Interesse. Gábor Bódy kam zu uns herüber und lud uns zu einem Drink ein. Wir unterhielten uns über die Theorie der Emil-Bauer-Biologie, über die Natur des Universums, über den Zweck des menschlichen Daseins, und plötzlich sagte er, daß er uns in einem Jahr aufsuchen und mit uns einen Film drehen will. Genau so kam es dann auch. Nach einem Jahr rief er mich an und wir trafen uns. Dann begannen die Dreharbeiten. Wir wußten über den Film nur soviel, wie in den Notizen von Gábor stand. Der konkrete Plan des Filmes hatte sich im Wesentlichen immer erst am Vorabend eines jeden Drehtages aus den abendlichen Gesprächen von Vera und Gábor und den einzelnen Mitgliedern des Stabes ergeben.

Als wir uns zu dem IKARUSZ-Konzert (23. September 1982) vorbereiteten, bat ich Gábor nicht nur ein riesiges Netz zu besorgen, das ein Symbol für das Universum sein sollte und das wir dann im Film auch ordentlich schüttelten, sondern auch einen riesigen Kürbis, der wesentlich größer sein sollte als mein Kopf. Auf dem Markt besorgten sie einen Kürbis von über 25 Kilo. Sie hatten um die Bühne drei Kameras aufgebaut, die nur auf den Beginn warteten. Ich schnitt ein Loch in den Kürbis und zog ihn mir auf den Kopf. Ich sah wie ein Bär aus und konnte rein gar nichts sehen. So torkelte ich auf die Bühne, brummend und schreiend, dann machte ich einen Salto rückwärts und fiel prompt auf den Kopf. Der Kürbis explodierte, es spritzte in alle Richtungen und ich lag beinahe ohnmächtig und mit blutenden Kopf auf dem Boden. Dann explodierte auch die Musk. Nach einigen Sekunden begann ich, zwar mit blutendem Kopf, aber wie verrück zu agieren und schon waren wir mitten im Konzert. Doch die Kameraleute waren so entsetzt gewesen, als ich auf der Bühne auftauchte, daß sie vergaßen, die Kameras einzuschalten, so begannen sie erst zu drehen, als der Kürbis in Stücke fiel.

Wie eng war eure Zusammenarbeit?

Attila Grandpierre: Während der Dreharbeiten und dann auch danach lernten Gábor und ich uns besser kennen. Wir wurden Freunde. Gábor hatte große Pläne. In einem Videofilm wollte er die ungarische Kunst-Szene vorstellen, besonders den musikalischer Underground wollte er zeigen. Zur Hälfte hatte er diesen Film auch schon fertig. Natürlich stieß er auf den Widerstand der Obrigkeit, schon wegen der zu erwartenden Wirkung und den Reaktionen. Gábor wollte die Videosprache revolutionieren, sie den Menschen näherbringen, die Mauer zwischen dem Publikum und der Kunst beseitigen.

Drei Tage vor seinem Tod war ich noch bei ihm, er hatte mich zu einer Arbeitsbesprechung gerufen. Die Wände seines Zimmers waren mit riesigen Papierbögen bespannt, darauf detaillierte Arbeitspläne für die kommenden Wochen und Monate, sogar für mehr als ein Jahr im Voraus. Im Mittelpunkt unseres Gespräches standen die Pläne für einen nächsten gemeinsamen Film. Gábor wollten mit Sándor Szalay und mir einen Film machen, in dem die Gehirnströme des Publikums quasi die Hauptdarsteller waren. Man hätte den Zuschauern kleine Apparate mit Elektroden auf den Kopf gesetzt oder eine auch aus geringer Entfernung arbeitende Apparatur hätte die Gehirnströme des Publikums aufgefangen und diese über einen Computer in Bilder umgewandelt und quasi als Performance auf die Leinwand geworfen. Das Wesentliche dieses Planes bestand darin, daß das Publikum merkt, daß es auf das Geschehen im Film einwirken kann, daß es zu einer gemeinsamen Schwingung kommen kann, mit der es dem so entstehenden Film Richtung und Rhythmus gibt.

Der Tod von Gábor Bódy kam für alle seine Freunde vollkommen unerwartet.

An welche Erlebnisse von den Dreharbeiten zu „Nachtlied eines Hundes" kannst Du dich erinnern?

Attila Grandpierre: Der Film weckte enormes Interesse in der Öffentlichkeit. Das IKARUSZ war dermaßen voll, daß man schon Stunden vor dem Konzert nicht mehr hineinkommen konnte, mehr als tausend Leute mußten draußen bleiben. Das Streichquartett ETA trat auf diesem Konzert auf und auch Bizottság. Die Obrigkeit hatte immer wieder versucht den Auftritt von VHK in diesem Film zu verhindern, doch Gábor hatte zu uns gehalten. Wir wollten auch den Auftritt des Streichquartetts ETA in dem Film haben, aber das konnte Gábor bei den Ämtern nicht mehr durchsetzen, zu groß war der Widerstand. Aus dem Material von diesem Konzert konzipierte Gábor zusätzlich ein einstündiges Filmessay mit dem Titel „Extázis 90". Ein Tag vor dessen Premiere auf den Ungarischen Filmtagen wurde dieses Video verboten. Zusammen mit Gábor waren wir mehrmals im Ministerium, doch wir konnten nur soviel erreichen, daß der Film einige Tage später inoffiziell gezeigt werden konnte. Heute weiß kaum einer etwas über die Existenz dieses Filmes, obwohl ich den Biographen, den Journalisten und allen Fachinteressierten immer wieder davon berichtet habe.

Die Dreharbeiten zu „Nachtlied eines Hundes" waren unmittelbar und lebensnah. Die Darsteller und der Filmstab arbeitete eng zusammen, das hatte auch bei uns Musiker einen großen Eindruck hinterlassen. Jeder von uns wurde von Gábor in die schöpferische Arbeit einbezogen, von Anfang an. Seine unmittelbare Menschlichkeit, sein außerordentlicher Geist hat jeden für ihn eingenommen.

Welche Rolle spielte der Film „Nachtlied eines Hundes" für die weitere Karriere der Band?

Attila Grandpierre: Bereits 1981 haben wir mit Gábor gedreht. Für besondere künstlerische Experimente gründete er in der Filmfabrik die Sektion K*. Diese Sektion K* hatte die wichtigsten Repräsentanten der damaligen ungarischen Underground-Szene eingeladen um sie aneinander zu messen. Dazu gehörten die Gruppen Neurotic, URH, Bizottság und VHK. Wir stellten eine riesige Leiter auf die Bühne und befestigten eine Glocke daran. Aus dem Publikum sprang dann jemand auf die Bühne und zog mit so viel Kraft an dieser Glocke, daß er auf das Schlagzeug stürzte. Czakó erschien daraufhin mit einer Schüssel Kleister und schüttete diese über ihn und das Publikum aus. VHK spielten an diesem Abend mit so elementarer Kraft, daß das Publikum dieses mächtige musikalische Toben ungläubig und atemlos in sich aufnahm. Nach etwa 20 Minuten schaltete die Filmfabrik den Strom aus. Sie hatten schlicht Angst, daß etwas Unwiederkehrbares passieren könnte. Von der Jury der Sektion K* bekam VHK den ersten Preis, da VHK die furchterregenden Dramen des 20. Jahrhunderts am fühlbarsten wiedergeben konnte.

Der Film „Nachtlied eines Hundes" wurde dann 1983 auf der Berlinale im Internationalen Forum des jungen Films vorgestellt. In Reaktion darauf lud uns die Berliner Band Tödliche Doris zu einem Gastauftritt ein. So traten wir am 14. Januar 1984 im Berliner Front Kino auf. Der Raum war dermaßen gerammelt voll, wie es bis dahin nur David Bowie füllen konnte. Darauf folgten dann Einladungen auf das Filmfest in Osnabrück und in Kopenhagen. Damit begann eine Serie von Auftritten im Westen. Wir lernten Dietmar Lupfer kennen, der damals unser erster Manager wurde und der heute in München die Muffat-Halle leitet. Und auch Jello Biafra wurde auf uns aufmerksam und verlegte unsere Platten auf seinem amerikanischen Label Alternative Tentacles. „Nachtlied eines Hundes" wird in Ungarn, in Deutschland und auch anderswo immer wieder gezeigt. Dieser Film wurde zum Wendepunkt in unserem Leben. Wir verdanken Gábor Bódy und diesem Film sehr viel. Übrigens ist der Titel dieses Filmes kein Zufall und auch heute noch bezeichnet er uns sehr treffend: er bezeichnet das Aufsteigen der niedergeworfenen und unterdrückten edlen Kräfte in der unmenschlichen Welt am Ende des 20. Jahrhunderts, wo die wahren Werte der Kultur ins Abseits gedrängt werden.

Interview vom Juli 1999. Zur Veröffentlichung, auch in Auszügen, freigegeben. Beleg erbeten.